Strategische Lieferantenentwicklung: Rahmenbedingungen, Optionen und Auswirkungen auf Abnehmer und Lieferant

Strategische Lieferantenentwicklung: Rahmenbedingungen, Optionen und Auswirkungen auf Abnehmer und Lieferant

Einleitung und Relevanz der Lieferantenentwicklung

Die Lieferantenentwicklung hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Baustein im strategischen Lieferantenmanagement entwickelt. In vielen Branchen, insbesondere in der Automobilindustrie, liegt der Anteil der Wertschöpfung, der durch Lieferanten generiert wird, bei über 50 %, in der Automobilindustrie sogar bei rund 78 %. Diese Entwicklung zeigt, wie essenziell die Integration und Optimierung von Lieferantenbeziehungen für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens geworden ist【5†source】.

Durch die zunehmende Spezialisierung und den Fokus auf Kernkompetenzen der Unternehmen ist der Anteil der Fremdvergaben gestiegen, was die Rolle der Lieferanten weiter aufgewertet hat. Strategische Lieferantenentwicklung dient dem Ziel, die Leistung und Innovationskraft von Lieferanten gezielt zu verbessern und diese als langfristige Partner in die eigene Wertschöpfungskette zu integrieren. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Leistungssteigerungen, sondern um eine nachhaltige Zusammenarbeit, die für beide Seiten – sowohl Abnehmer als auch Lieferant – Wettbewerbsvorteile bietet【5†source】【5†source】.

Durst stellt in seiner Dissertation „Strategische Lieferantenentwicklung: Rahmenbedingungen, Optionen und Auswirkungen auf Abnehmer und Lieferant“ die theoretischen Grundlagen und praktischen Anwendungsfelder der Lieferantenentwicklung dar. Er beleuchtet empirische Studien, analysiert strategische Optionen und entwickelt ein Modell, das die Zusammenhänge zwischen Rahmenbedingungen und den Erfolgsfaktoren der Lieferantenentwicklung aufzeigt. Besondere Schwerpunkte legt er auf die Rolle der Abnehmer-Lieferant-Beziehung und die Erfolgsfaktoren, die diese Beziehungen nachhaltig gestalten.

Theoretischer Hintergrund

Einordnung der Lieferantenentwicklung in das Lieferantenmanagement

Durst beginnt mit der Einordnung der Lieferantenentwicklung in das umfassende Konzept des Lieferantenmanagements. Er definiert Lieferantenmanagement als die Gesamtheit aller Aktivitäten, die ein Unternehmen im Umgang mit seinen Lieferanten unternimmt. Diese Aktivitäten reichen von der Identifikation potenzieller Lieferanten über die Lieferantenauswahl, -bewertung und -steuerung bis hin zur strategischen Entwicklung und Integration von Lieferanten【5†source】.

Lieferantenmanagement ist ein integraler Bestandteil des strategischen Einkaufs und umfasst alle Maßnahmen, die die langfristige Zusammenarbeit mit Lieferanten optimieren sollen. Hierbei ist insbesondere die strategische Komponente der Lieferantenentwicklung von Bedeutung, die über die routinemäßigen Einkaufsprozesse hinausgeht. Ziel ist es, die Fähigkeiten und die Leistung der Lieferanten durch gezielte Maßnahmen zu verbessern, um langfristig Wettbewerbsvorteile zu sichern.

Durst gliedert das Lieferantenmanagement in drei zentrale Aktivitäten:

  1. Management der Lieferantenbasis: Umfasst die Auswahl, Bewertung und Pflege der gesamten Lieferantenbeziehungen.
  2. Lieferantenentwicklung: Bezieht sich auf alle Maßnahmen, die über die rein operative Zusammenarbeit hinausgehen und darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit der Lieferanten systematisch zu verbessern.
  3. Lieferantenintegration: Die Einbindung von Lieferanten in die eigenen Innovations- und Entwicklungsprozesse, um eine engere und effizientere Zusammenarbeit zu ermöglichen【5†source】【5†source】.

Theoretische Fundierung

Die strategische Lieferantenentwicklung wird in der betriebswirtschaftlichen Theorie häufig durch die Transaktionskostentheorie und den ressourcenbasierten Ansatz begründet. Diese beiden Theorien bieten den Rahmen, um die Beziehungen zwischen Abnehmern und Lieferanten besser zu verstehen und strategische Entscheidungen zu begründen.

  1. Transaktionskostentheorie: Diese Theorie betrachtet die Kosten, die bei der Abwicklung von Transaktionen zwischen zwei unabhängigen Parteien entstehen. Im Kontext der Lieferantenentwicklung bedeutet dies, dass Unternehmen die Transaktionskosten senken können, indem sie langfristige Beziehungen zu ihren Lieferanten aufbauen. Eine engere Zusammenarbeit reduziert Unsicherheiten und Abstimmungsaufwände und steigert die Effizienz. Unternehmen stehen dabei vor der Wahl, ob sie die benötigten Güter selbst produzieren (Make) oder von Lieferanten beziehen (Buy). Die Entwicklung und Integration von Lieferanten kann helfen, die Nachteile der Fremdvergabe zu minimieren, indem Abhängigkeiten reduziert und die Effizienz der Lieferanten gesteigert werden【5†source】.
  2. Ressourcenbasierter Ansatz: Der ressourcenbasierte Ansatz fokussiert sich auf die internen und externen Ressourcen eines Unternehmens, die ihm Wettbewerbsvorteile verschaffen können. Lieferanten werden hier als externe Ressourcen betrachtet, die durch strategische Zusammenarbeit und Entwicklung so gestaltet werden können, dass sie zu einer einzigartigen Wettbewerbsposition des Unternehmens beitragen. Dieser Ansatz betont, dass Unternehmen Wettbewerbsvorteile generieren, indem sie nicht nur ihre eigenen Ressourcen optimieren, sondern auch durch die Optimierung ihrer Lieferanten strategische Vorteile erlangen. Insbesondere Innovationsfähigkeit, Qualität und Kosteneffizienz können durch eine intensive Zusammenarbeit mit Lieferanten gesteigert werden【5†source】【5†source】.

Optionen der Lieferantenentwicklung

Durst identifiziert in seiner Arbeit drei zentrale Optionen der strategischen Lieferantenentwicklung, die von den Rahmenbedingungen und Zielen des Abnehmers abhängig sind. Diese Optionen bieten unterschiedliche Ansätze, wie Unternehmen ihre Lieferantenbeziehungen gestalten und verbessern können.

Option I: Entwicklung neuer Lieferanten

Die erste Option bezieht sich auf die Schaffung neuer Bezugsquellen, also die Entwicklung neuer Lieferanten, die bisher noch keine Geschäftsbeziehung zum Abnehmerunternehmen hatten. Diese Option wird auch als Reverse Marketing bezeichnet und dient dazu, neue Lieferanten zu erschließen und gezielt zu fördern, um den Wettbewerb unter den Lieferanten zu intensivieren und alternative Beschaffungsmöglichkeiten zu schaffen【5†source】【5†source】.

Ein praktisches Beispiel ist die Automobilindustrie, in der Unternehmen wie BMW oder Audi gezielt neue Lieferanten aufbauen, um innovative Technologien oder Kostenvorteile zu realisieren. Durch die Integration neuer Zulieferer können etablierte Lieferanten unter Druck gesetzt werden, ihre Leistung zu verbessern oder Preisanpassungen vorzunehmen. In diesem Prozess werden häufig kleinere oder spezialisierte Unternehmen durch Schulungen und Investitionen seitens des Abnehmers unterstützt, um ihre Fähigkeiten zu erweitern und die Anforderungen des Großabnehmers zu erfüllen.

Option II: Verbesserung bestehender Lieferanten

Die zweite Option zielt darauf ab, bestehende Lieferanten weiterzuentwickeln. Hierbei wird die Leistung des Lieferanten gezielt durch Maßnahmen wie Schulungen, Prozessoptimierungen oder Qualitätsmanagementsysteme verbessert. Diese Art der Lieferantenentwicklung ist vor allem dann sinnvoll, wenn der bestehende Lieferant bereits gute Voraussetzungen mitbringt, aber in bestimmten Bereichen Optimierungspotenzial besteht【5†source】.

In der Praxis wird dies häufig in der Form von Lieferantenschulungen oder Auditverfahren umgesetzt. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der deutsche Automobilhersteller Volkswagen, der mit seinen Lieferanten Schulungen zu den Themen Qualitätssicherung und Produktionsprozesse durchführt, um eine gleichbleibend hohe Produktqualität sicherzustellen. Diese Maßnahmen dienen sowohl der kurzfristigen Verbesserung der Produktqualität als auch der langfristigen Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Lieferanten.

Option III: Gemeinsame Innovationsprojekte

Die dritte Option stellt die engste Form der Zusammenarbeit zwischen Abnehmer und Lieferant dar: die Integration des Lieferanten in gemeinsame Innovationsprojekte. Hierbei geht es nicht nur um die Verbesserung bestehender Prozesse, sondern um die Entwicklung neuer Produkte und Technologien in Zusammenarbeit mit dem Lieferanten【5†source】【5†source】.

Diese Option ist besonders relevant in Industrien, in denen Innovation und technologische Entwicklung eine zentrale Rolle spielen, wie beispielsweise in der Elektronik- oder Automobilbranche. Unternehmen wie Siemens oder Bosch arbeiten eng mit ihren Lieferanten zusammen, um gemeinsam neue Produkte zu entwickeln und dadurch Innovationsvorsprünge zu erlangen. Diese Projekte sind in der Regel langfristig angelegt und beinhalten oft eine enge Verzahnung der Entwicklungsabteilungen beider Unternehmen.

Rahmenbedingungen der Lieferantenentwicklung

Die Wirksamkeit der verschiedenen Optionen der Lieferantenentwicklung hängt von den Rahmenbedingungen ab, in denen sich das Unternehmen befindet. Durst identifiziert mehrere Faktoren, die maßgeblich beeinflussen, wie erfolgreich eine Lieferantenentwicklungsmaßnahme umgesetzt werden kann.

  1. Abhängigkeit: Die Abhängigkeit zwischen Abnehmer und Lieferant ist ein zentraler Faktor. Ist der Abnehmer stark von einem Lieferanten abhängig, weil dieser eine Schlüsseltechnologie liefert, muss die Lieferantenentwicklung sorgfältig geplant und umgesetzt werden, um die Abhängigkeit zu verringern. Umgekehrt kann ein mächtiger Abnehmer den Lieferanten stärker unter Druck setzen und anspruchsvollere Verbesserungen fordern【5†source】.
  2. Ressourcenausstattung: Die finanziellen und personellen Ressourcen, die einem Unternehmen zur Verfügung stehen, beeinflussen ebenfalls die Art und Weise, wie Lieferantenentwicklungsprogramme umgesetzt werden können. Große Unternehmen können umfangreiche Entwicklungsprogramme mit hohem Ressourcenaufwand initiieren, während kleinere Unternehmen auf weniger intensive, aber fokussierte Maßnahmen zurückgreifen【5†source】.
  3. Methodenkompetenz: Die Kompetenz des Abnehmers in der Anwendung von Methoden zur Lieferantenentwicklung, wie Audits oder Schulungen, ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Unternehmen mit umfassender Methodenkompetenz können ihre Lieferanten effizienter entwickeln und somit schneller Verbesserungen erzielen【5†source】.

Auswirkungen der strategischen Lieferantenentwicklung

Die Auswirkungen der Lieferantenentwicklung betreffen sowohl den Abnehmer als auch den Lieferanten. Durst analysiert die Erfolgsfaktoren und Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit beider Parteien.

Auswirkungen auf den Abnehmer

Strategische Lieferantenentwicklung kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens signifikant steigern. Durch die Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Lieferanten können Unternehmen ihre Produktionskosten senken, die Qualität der zugekauften Produkte steigern und Innovationsvorsprünge erzielen. Dies führt zu einer stärkeren Position im Markt und kann dazu beitragen, langfristige Wettbewerbsvorteile zu sichern【5†source】.

Ein Beispiel hierfür ist die Elektronikbranche, in der große Unternehmen wie Apple eng mit ihren Zulieferern zusammenarbeiten, um innovative Technologien zu entwickeln, die den Produktzyklus beschleunigen und die Marktführerschaft sichern. Solche Kooperationen ermöglichen es den Unternehmen, schneller auf Marktveränderungen zu reagieren und neue Produkte auf den Markt zu bringen.

Auswirkungen auf den Lieferanten

Auch für den Lieferanten bietet die strategische Entwicklung erhebliche Vorteile. Durch die Zusammenarbeit mit dem Abnehmer kann der Lieferant seine eigenen Fähigkeiten und Prozesse verbessern, was wiederum seine Wettbewerbsfähigkeit erhöht. In vielen Fällen führt dies zu einer engeren Bindung an den Abnehmer und zu langfristigen Geschäftsbeziehungen【5†source】.

Ein bekanntes Beispiel ist der japanische Automobilhersteller Toyota, der durch sein Toyota Production System (TPS) eng mit seinen Lieferanten zusammenarbeitet, um Prozesse zu optimieren und die Effizienz zu steigern. Diese enge Zusammenarbeit hat nicht nur Toyota geholfen, seine Produktionskosten zu senken, sondern auch den Lieferanten ermöglicht, ihre eigenen Produktionsmethoden zu verbessern und ihre Marktposition zu stärken.

Handlungsempfehlungen

Durst leitet aus seiner Analyse mehrere Handlungsempfehlungen für die Praxis ab. Unternehmen sollten gezielt die Rahmenbedingungen analysieren und darauf basierend die geeigneten Optionen der Lieferantenentwicklung auswählen. Dabei ist es wichtig, eine Balance zwischen kurzfristigen Kostenzielen und langfristigen Innovationszielen zu finden. Besonders erfolgversprechend ist die Integration der Lieferanten in Innovationsprojekte, da dies nicht nur die Lieferantenbindung stärkt, sondern auch nachhaltige Wettbewerbsvorteile schaffen kann【5†source】.

Fazit aus berufspädagogischer Perspektive

Aus einer berufspädagogischen Sicht bietet das Buch einen hohen Mehrwert für die Ausbildung zukünftiger Fach- und Führungskräfte im Bereich Supply Chain Management und strategischem Einkauf. Die dargestellten Konzepte der Lieferantenentwicklung und ihre theoretischen Grundlagen können in der beruflichen Bildung genutzt werden, um die Komplexität moderner Lieferketten und die Bedeutung einer strategischen Lieferantenentwicklung zu vermitteln.

Für die berufliche Praxis verdeutlicht das Werk die Relevanz eines ganzheitlichen Ansatzes im Lieferantenmanagement. Unternehmen, die ihre Lieferanten als Partner betrachten und strategisch entwickeln, können langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und innovative Produkte schneller auf den Markt bringen. Besonders in Zeiten globaler Unsicherheiten und gestörter Lieferketten zeigt sich, wie wichtig stabile und leistungsfähige Lieferantenbeziehungen sind.

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